Feindbilder in Unternehmerfamilien.

Im Einzelcoaching mit Anne, 41 Jahre und Unternehmensnachfolgerin eines großen Molkereibetriebes, geht es um ihre Beziehung zu ihren beiden jüngeren Geschwistern.

Florian (37) zieht es vor, das Vermögen der Eltern als – wie sie es formuliert – „Hängematte“ zu nutzen. Er ist wie sie Geschäftführer, bringt wenig Eigenleistung ins Tagesgeschäft und hat hochtrabende Pläne für die Zukunft des Unternehmens.

Eva (31) unterstützt ihre ältere Schwester in Teilzeit in der Geschäftführung. Die beiden Frauen sind sehr kooperativ im Umgang miteinander. Und beide sind sich einig darüber, dass Florian ein Störenfried im Unternehmen ist, den Bodenkontakt verloren hat und die Zukunft des Unternehmens davon abhängt, ob er im Unternehmen bleibt oder nicht.

Anne steht beim Erzählen unter ungeheurem Druck. Sehr abwertend beschreibt sie das Verhalten ihres Bruders, mit einem feindseligen Ton. Sie vermutet hinter seinem Verhalten eine Missachtung ihrer Leistung und die Strategie, das Unternehmen als Biomolkerei alleine führen zu wollen. Sie berichtet von radikalen Lösungen, die sie mit ihrer Schwester entwickelt hat, um den Entscheidungsspielraum ihres Bruders einzuschränken, dem Ausschluss aus der Geschäftsführung.

Ich spüre intensiv das Leid, in dem Anne sich befindet und erzähle ihr folgende Geschichte:

Ein Mann entschloss sich, einen Blumengarten anzulegen. Er bereitete den Boden vor und pflanzte die Samen vieler wunderschöner Blumen ein. Doch als sie aufgingen, füllte sich sein Garten nicht nur mit seinen ausgewählten Blumen, sondern überall wucherte Löwenzahn. Er suchte Rat bei allen möglichen anderen Gärtnern und probierte alle bekannten Methoden aus, um den Löwenzahn loszuwerden, aber ohne Erfolg. Schließlich ging er den ganzen Weg bis zur Hauptstadt, um beim Hofgärtner am Palast vorzusprechen. Der weise, alte Mann hatte schon viele Gärtner beraten und schlug eine Vielzahl von Mitteln vor, um den Löwenzahn auszurotten, aber der Mann hatte sie schon alle ausprobiert. Eine Weile saßen sie schweigend zusammen, bis am Ende der Gärtner den Mann anschaute und sagte: „Nun, dann schlage ich vor, du lernst, den Löwenzahn zu lieben.“

Anne schaut mich verwirrt an. Ich sehe ihr an, dass sie am liebsten wieder direkt auf ihn – den Löwenzahn – schimpfen möchte, aber etwas lässt sie zögern. Sie zweifelt, ob ihre Beschimpfungen und Feindseligkeit wohl die einzige Beschreibungsmöglichkeit bleiben muss.

Einem Impuls folgend, frage ich sie nach einem schönen, gemeinsamen Kindheitserlebnis mit ihrem Bruder. Sie erzählt mir von einem Segelurlaub mit der gesamten Familie, in dem sie sehr stolz auf ihren kleinen Bruder war, der als fünfzehnjähriger bei einem riskanten Manöver beherzt eingriff und einen Unfall verhinderte.

Anne beginnt, ein nuancierteres Bild von ihrem Bruder zu entwickeln. Und sie gewinnt Raum, um ihre inneren Stimmen wahrzunehmen, die vorher unterdrückt worden waren.

Das Coaching wird beendet mit der Entscheidung, mit ihrer Schwester gemeinsam die guten Erinnerungen an die Kindheit auszugraben und dem Beschluss, ihren Bruder daran teilhaben zu lassen. So entsteht ein kleines, neues Fundament, um Verdächtigungen auszuräumen und gemeinsam die Weichen für die Zukunft des Unternehmens zu stellen.

Literaturtipp:

Feindbilder – Psychologie der Dämonisierung, Omer/Alon/von Schlippe, Vandenhoeck & Ruprecht 2010

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