Was haben die Nachfolger damit zu tun? Schließlich wir haben seit über 60 Jahren Frieden!

Dennis (42) arbeitet seit gut acht Jahren in dem Speditionsunternehmen seines Vaters Robert. Dieser erwarb das kleine Fuhrunternehmen 1969 von seinem Chef und baute es zu einem mittelständischen Betrieb mit 45 Mitarbeitern aus.

Die Zusammenarbeit mit seinem Vater läuft alles andere als gut. Dennis schafft es nicht, sich gegen ihn zu behaupten und seinen Standpunkt auch nur zu einfachen Themen des Alltags einzunehmen. Dabei ist Dennis besten Willens, das Erbe seines Vaters anzutreten und er versteht nicht, warum der Senior es nun seit so langer Zeit darauf belässt, ihn als Spediteur zu beschäftigten. Zahlreiche Managementzusatzqualifikationen in Controlling, Marketing und Mitarbeiterführung hat er absolviert, doch seinen Vater interessiert dies alles nicht. Versucht Dennis das Gespräch darauf zu lenken, block Robert ab und versichert seinem Sohn, dass alles so gut ist, wie es ist und so soll es bleiben.

Dennis fühlt sich gänzlich fehl am Platz. In den letzten sieben Jahren hat er immer wieder versucht, das Unternehmen zu verlassen. Doch allein bei dem Gedanken daran wird es ihm schwer ums Herz und eine diffuse Zukunftsangst erstickt jede Energie im Keim.

In so einer Phase kommt Dennis zu mir. Sprachlos, ratlos und nahe einem Burn-Out. Sein Coaching-Ziel ist, den Absprung zu schaffen und ein Angebot aus einer befreundeten Spedition anzunehmen.

Schon in der ersten Coachingsitzung fällt mir auf, dass Dennis fast ausschließlich über seinen Vater redet und seine schwierige Persönlichkeit beschreibt. Nur selten und meist auf meine konkrete Nachfrage berichtet er von sich, seinen Gefühlen und seinem persönlichen Erleben im Umgang mit Robert und im Unternehmen. Meine Versuche, seinen Fokus von seinem Vater auf ihn zu wenden, scheitern auch in dem nachfolgenden Coaching, bis auch ich die Konzentration ausschließlich auf seinen Vater lenke und vermehrt nachhake: Wann ist der Vater geboren? 1942. Wo wurde er geboren? Im damaligen Sudetendeutschland. Was hat er im Krieg erlebt? Vertreibung im Januar 1946 mit der Mutter und zwei Geschwistern. Dann die Flucht zu Fuß über die grüne Grenze, die die russische Zone von der Englischen trennte. Der jüngere Bruder ist als Baby auf der Flucht gestorben. Das ist alles, was Dennis weiß.

Dennis selbst ist Drittgeborener. Seine beiden Geschwister sind jeweils zwei Jahre älter und gehen gänzlich anderen Berufen nach. Beide sind minder erfolgreich, beide sind zwar verheiratet, aber wie Dennis kinderlos. Mit zunehmenden Informationen sehe ich und spüre ich das ganze Ausmaß Dennis` Not vor mir. Der Hintergrund für Dennis schweres und zähes Leben scheint das nicht verarbeitete Kriegstrauma des Vaters zu sein. So wie Dennis geht es vielen in der Generation der zwischen 1960 und 1975 Geborenen. Sie stehen vor ungelösten Fragestellungen: Wieso habe ich das Gefühl, nicht genau zu wissen, wer ich bin und wohin ich gehen soll? Wo liegen die Ursachen für meine diffuse Angst vor der Zukunft? Wieso fühle ich mich von meinen Eltern so wenig verstanden?

Ich führe Dennis vorsichtig an das Thema heran mit der Hypothese, dass sein Vater vielleicht deshalb so ist wie er ist, weil er als Kind Schreckliches erlebt hat. Dennis wirkt betroffen als er feststellt, dass er darüber in seinem Leben noch nie nachgedacht hätte. Ich berichte ihm von meinen Erfahrungen und empfehle ihm zwei Bücher „Die vergessene Generation – Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen“ und „Kriegsenkel – Die Erben der vergessenen Generation“ von Sabine Bode.

Wir verabreden zunächst keinen neuen Termin. Dennis will sich intensiv mit dem Thema beschäftigen. Einige Wochen später ruft er mich an und berichtet, es hätte sich einiges verändert. Er fühle sich nun viel weniger als Opfer und machtlos der Situation ausgeliefert. Er hätte eine Therapie begonnen, die ihm hilft, die Themen der Eltern von den eigenen Themen abzugrenzen. Das Thema Nachfolge sieht er nun in einem anderen Licht. Wir verschieben das Coaching auf unbestimmte Zeit, bis Dennis mit mehr Klarheit und Selbstbezug ausgestattet ist.

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